Am 12. November 1989, gegen 7.30 Uhr, rief mich die aus Hessen stammende Winnigstedter Kauffrau Hildegard Rueß an: “Die Grenze bei Mattierzoll wird gleich geöffnet, schnell runter!” Sie und ich gehörten zu einer Gruppe, die hier einen Grenzübergang wünschten. Ein Schreiben wurde dem zuständigen Nieder- sächsischen Ministerium eingereicht. Plötzlich ging alles viel schneller.
Eilig packte ich meinen Fotoapparat ein und fuhr nach Mattierzoll. Während des “Kleinen Grenzverkehrs” bin ich seit 1973 oft im Ostharz und anderen Regionen gewesen. Als Lehrer fotografierte ich viel für Unterrichtszwecke, als freier Presse-Mitarbeiter für Zeitungen. Zusätzlich hielt ich Lichtbildervorträge. In Mattierzoll angekommen freuten sich mit mir zahlreiche Personen aus Roklum und anderen Orten. Die ersten DDR- Bürger reisten staunend und mit einem freudigen Gesichtsausdruck in den Landkreis Wolfenbüttel. Gemeinsam mit Landrat Ernst - Henning Jahn sowie den Bundes- und Landespolitikern Helmuth Bosse, Karl- Heinz Mühe, Wilhelm Schmidt, Oberkreisdirektor Ernst - Hartmut Koneffke und anderen Personen marschierten ich aufgeregt nach Hessen. Wir kannten uns alle gut. Schnell fotografierte ich die ersten Ausreisenden und stellte DDR- Bürgern viele Fragen. Ich wollte Einzelheiten über die Wege im “Großen Fallstein” und das Sperrgebiet wissen. Wir jubelten, freuten uns sehr und begrüßten fremde Menschen. Bald erreichten wir Hessen. In der vollen “Weinschenke” wurde gefeiert und gesungen.
Während der Mittagszeit eilte ich nach Roklum zurück. Überall gab es verstopfte Straßen und Feldwege. Am Nachmittag fuhren meine Frau und ich mit Fahrrädern und den beiden Jungen im Kindersitz erneut nach Hessen. Jubelnde Menschenmassen strömten in beide Richtungen. Oft sahen wir fremde Menschen, die sich umarmten und vor Freude weinten. Plötzlich mit großen Schritten Ernst - Henning Jahn, Ministerpräsident Ernst Albrecht und Ehefrau Heidi-Adele vor Freude winkend der “Weinschenke” entgegen. Schnell habe ich die Ankunft - ein besonderes Erlebnis - mit meinem Fotoapparat festgehalten. In den frühen Abendstunden besuchte ich zusätzlich unser Nachbardorf Veltheim, wo ebenfalls ausgelassen gefeiert wurde. Dieser herbeigesehnte Tag gehört nach der Geburt meiner Kinder zu den wichtigsten Ereignissen in meinem Leben. Am nächsten Tag sind wir die ersten Auto - Reisenden in Richtung Wernigerode gewesen. Denn durch die Nutzung des “Kleinen Grenzverkehrs” besaßen wir ein Visum.
Vielen Dank an Herrn Meyer für diese Schilderung seiner damaligen Eindrücke.
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